Mobile Ethnografie vs. Mobile Ethnografie: Ist doch das Gleiche, oder nicht?
Ethnografie ist das Erforschen und Beschreiben von Kulturen. Der Zusatz „mobil“ lässt sich hier auf zweierlei Arten verstehen: Im klassischen Sinne wird dabei der Forscher mobil; er muss runter von seinem Bürostuhl, raus aus dem institutionellen Umfeld, hinein in den Alltag des Forschungsgegenstandes. In Rahmen qualitativer Marktforschung bedeutet mobile Ethnografie heute allerdings zunehmend Folgendes: Der Studienteilnehmer begleitet seinen Alltag und bestimmte Konsumsituationen selbst per Smartphone, sprich mit mobilen Technologien. Welche großen Chancen sich daraus ergeben, wie Hürden beseitigt werden können und welche neue Rolle dem Teilnehmer zukommt, das beantwortet dieser Beitrag.
Praktische Anwendung statt wissenschaftlicher Theorie
- Einblick in Alltags- und Konsumwelt und Kaufverhalten generell
- Beobachtung und Verständnis von Kaufentscheidungen am Point of Sale
- Analyse von Akzeptanz und Präferenz von Gütern und Services im Verwendungskontext
Das Smartphone als Forschungsinstrument
In der mobilen Ethnografie im Marktforschungssinne wird nicht der Forscher mobilisiert, sondern der Studienteilnehmer: Er sammelt selbstständig die gewünschten Daten und nutzt dazu digitale mobile Technologien wie allen voran sein Smartphone. Aber auch Tablets, Smartwatches, Livestream-Apps etc. sind denkbar. Der Trend geht übrigens zur Miniaturisierung, sprich digitale (End-)Geräte werden in Kleidung oder sogar den Körper integriert.
Smartphones sind selbstverständliche Alltagsbegleiter; ihre Benutzung ist unkompliziert und für den Besitzer absolut gängig. Er kann damit praktisch Konsumsituationen festhalten, ohne sich später etwa zu einem Tagebucheintrag überwinden zu müssen und dabei möglicherweise wieder wichtige Aspekte vergessen zu haben. In der konkreten Situation der Anwendung oder des Erlebens zeichnet er per Foto, Video, Text oder Audio-File er seine Empfindungen auf und nimmt damit selbst eine investigative Rolle ein.
Der Forscher wiederum ist sozusagen in der Beobachtungssituation dabei, ohne anwesend zu sein und die Ergebnisse dadurch möglicherweise zu beeinflussen. Trotzdem ist eine spontane Interaktion möglich, zum Beispiel durch gezielte Rückfragen. Der Teilnehmer wird gleichzeitig zum Forschungspartner, weshalb er nicht nur in die Datenerhebung, sondern auch in deren Analyse sowie in die Ergebnispräsentation miteinbezogen werden sollte! Denn je stärker er sich mit der Studie identifiziert, desto stärker ist er involviert und die erhobenen Daten sind umso relevanter.
Nähe, Echtheit, Unverfälschtheit
Die drei Schlüsseldimensionen der mobilen Ethnografie in der qualitativen Marktforschung lauten also: Nähe, Echtzeit, Unverfälschtheit. Daten werden ohne Zeitverzögerung im Erlebenskontext gesammelt, kein externer Beobachter verfälscht die Ergebnisse. Der Aspekt der Echtzeit bezieht sich ebenso auf mögliches Feedback und die Datenanalyse, sofern eine unmittelbare digitale Kommunikation gewährleistet ist.
Herausforderungen der mobilen Ethnografie
- Momentan können Speichermedien noch an ihre Grenzen kommen, wenn zum Beispiel umfangreiche Videodateien auf einem mobilen Endgerät gesichert werden sollen.
- Ein Videostream ist (noch) nicht immer und überall live störungsfrei übertragbar.
- Es besteht die Gefahr der Selbstinszenierung, wenn der Teilnehmer seinen Alltag selbst mit dem eigenen Smartphone begleitet, wodurch die Daten deutlich an Aussagekraft verlieren können.
- Die Auswertung von umfangreichen qualitativen Daten wie Ton-, Bild- und Videodateien ist mitunter sehr aufwendig.
Fazit
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