Inhaltsverzeichnis

  1. Definition Ethnografie
  2. Ethnografie in der Marktforschung
  3. Zielsetzungen von Ethnografie
  4. Vorteile der Ethnografie
  5. Mobile Ethnografie
  6. Anwendungsbeispiele
  7. Fazit

 

Was ist Ethnografie?

Ethnografie ist das Erforschen und Beschreiben von Kulturen. Dieser Artikel beleuchtet die Hintergründe von Ethnografie und ihren Einsatz in der Marktforschung. Der neuen Technik sei Dank: Früher wurden bei Ethnografie-Studien große Anstrengungen darauf verwendet, die zu beobachtenden Konsumentinnen und Konsumenten nicht durch die begleitende Person zu beeinflussen. Heutzutage handeln Forscher und wissbegierige Unternehmen genau anders herum und lassen die konsumierenden Personen sich selbst beobachten. Wir stellen im folgenden Beitrag Vorteile, Nachteile und Anwendungsszenarien von Ethnografie in der Marktforschung vor.

 

Ethnografie in der Marktforschung

In der Marktforschung bezieht sich Ethnografie auf eine qualitative Forschungsmethode, die darauf abzielt, das Verhalten, die Kultur und die sozialen Interaktionen von Menschen in ihrem natürlichen Umfeld zu verstehen. Kundenverhalten, Bedürfnisse und Einstellungen werden auf eine Weise erfasst, die über traditionelle Umfragen oder Fokusgruppen hinausgeht. Statt Menschen nach ihren Meinungen zu fragen, beobachten Ethnografen ihr tatsächliches Verhalten in Alltagssituationen. Dies kann dazu beitragen, versteckte Bedürfnisse, automatische Verhaltensweisen oder unerfüllte Erwartungen zu identifizieren, die eine Kaufentscheidung beeinflussen und die durch herkömmliche Forschungsmethoden möglicherweise nicht erfasst werden.

Die Anwendung von Ethnografie in der Marktforschung ist besonders nützlich bei der Produktentwicklung, der Verbesserung von Kundenerlebnissen oder dem Verständnis komplexer sozialer Dynamiken im Zusammenhang mit bestimmten Produkten oder Dienstleistungen. Es werden Interviews, teilnehmende Beobachtungen und manchmal auch Fotografien oder Videoaufnahmen genutzt, um tiefere Einblicke in das Verhalten von Zielgruppen oder Kunden zu gewinnen.
 
 

Zielsetzungen von Ethnografie

 Zielsetzungen von Ethnografie in der Marktforschung sind also unter anderem:

  • Einblick in Alltags- und Konsumwelt und Kaufverhalten allgemein
  • Beobachtung und Verständnis von Kaufentscheidungen am Point of Sale
  • Analyse von Akzeptanz und Präferenz von Gütern und Services im Verwendungskontext

 

Die Vorteile von Ethnografie

Die Vorteile von Ethnografie liegen auf der Hand: Die Konsumenten sind sich ihrer alltäglichen Handlungen und deren zugrunde liegenden Einstellungen und Werten oft gar nicht bewusst. Viele Dinge werden automatisiert durchgeführt, ohne sie zu hinterfragen. Eine möglichst objektive Beobachtung kann daher wertvolle Einblicke in das Leben, die Entscheidungen und die Überzeugungen von Kunden gewähren.

 

Mobile Ethnografie

Dabei wird der Forscher mobil; er muss runter von seinem Bürostuhl, raus aus dem institutionellen Umfeld, hinein in den Alltag des Forschungsgegenstandes. Im Rahmen qualitativer Marktforschung bedeutet mobile Ethnografie heute allerdings zunehmend Folgendes: Die Studienteilnehmenden begleiten ihren Alltag und bestimmte Konsumsituationen selbst per Smartphone oder Tablet. Dabei teilt die konsumierende Person ihre Eindrücke, indem sie bestimmte Konsumsituationen auf dem mobilen Endgerät dokumentiert. Konkret können das beispielsweise Fotografien, Textnotizen, Sprachaufnahmen oder Videoaufnahmen bzw. Live-Video-Streamings sein, auch durch Begleitpersonen aus dem persönlichen Umfeld. Mithilfe von Triangulation, also der Kombination klassischer Methoden und digitaler Ethnografie, wird die Validität sichergestellt (Anwendungsbeispiele befinden sich am Ende des Artikels).
 

Nähe, Echtheit, Unverfälschtheit

Die drei Schlüsseldimensionen der mobilen Ethnografie in der qualitativen Marktforschung lauten: Nähe, Echtzeit, Unverfälschtheit. Daten werden ohne Zeitverzögerung im Erlebenskontext gesammelt, kein externer Beobachter verfälscht die Ergebnisse. Der Aspekt der Echtzeit bezieht sich ebenso auf mögliches Feedback und die Datenanalyse, sofern eine unmittelbare digitale Kommunikation gewährleistet ist.
 

Herausforderungen der mobilen Ethnografie

Welche Hürden können sich wiederum beim Sammeln von Daten per Smartphone auftun?
  • Momentan können Speichermedien noch an ihre Grenzen kommen, wenn zum Beispiel umfangreiche Videodateien auf einem mobilen Endgerät gesichert werden sollen.
  • Ein Videostream ist (noch) nicht immer und überall live störungsfrei übertragbar.
  • Es besteht die Gefahr der Selbstinszenierung, wenn der Teilnehmer seinen Alltag selbst mit dem eigenen Smartphone begleitet, wodurch die Daten deutlich an Aussagekraft verlieren können.
  • Die Auswertung von umfangreichen qualitativen Daten wie Ton-, Bild- und Videodateien ist mitunter sehr aufwendig.
Durch den raschen technologischen Fortschritt können diese Hürden jedoch immer besser überwunden werden. Es werden beispielsweise immer größere Speicherkapazitäten geschaffen und die zuverlässige Übertragung großer Datenmengen in Echtzeit ermöglicht. Ebenso nimmt die Qualität einer automatisierten Analyse qualitativer Daten zu.
 
Wie aber lässt sich den „menschlichen“ Faktoren in der digitalen mobilen Befragung und Forschung begegnen, wie etwa dem genannten Risiko der Selbstinszenierung? Zuallererst sind im Vorfeld ganz klare Anweisungen an den Teilnehmer nötig und hilfreich. Auch das Angebot, vorher ein kleines Selbstporträt von sich zu erstellen, kann der späteren Selbstdarstellung vorbeugen. Und auch wenn der Teilnehmer hier zum Co-Forscher wird: Er muss den Forschungszweck nicht in allen Details kennen!
 

 

Ethnografie in der Marktforschung – Anwendungsbeispiele

Im Folgenden stellen wir zum besseren Verständnis zwei Anwendungsbeispiele für Ethnografie in der Marktforschung vor.

Szenario 1: Ein Textilunternehmen erforschte die Bedeutung zerrissener Jeans mittels eines mehrstufigen Ansatzes:

  1. Social Media Monitoring: Relevanter Content zu zerrissenen Jeans wurde aus sozialen Netzwerken extrahiert.
  2. Semiotische Analyse: Durch spezielle Software wurden die Daten automatisiert analysiert, einschließlich Logos, Objekten und demografischen Merkmalen.
  3. Deprivation-Tagebuch: 24 Teilnehmer verzichteten zwei Wochen lang auf zerfranste Jeans und berichteten über ihre Gefühle.
  4. Tiefenpsychologische Interviews: Intensive Interviews mit den Teilnehmern ermöglichten eine weitere Aufschlüsselung der Gefühle.

Die Auswertung ergab, dass zerrissene Jeans ein positives Image haben und von ihren Trägern geschätzt werden. Der Aspekt des Aufbegehrens gegen gesellschaftliche Normen spielte nur gelegentlich eine Rolle.

Szenario 2: Ein mittelständisches Unternehmen führte eine internationale Studie über Frühstücksrituale bei Mittelschichtsfamilien durch:

  1. Persönliches Kennenlernen und Sonntagsfrühstück mit begleitender Beobachtung.
  2. Selbstständige Protokollierung der täglichen Abläufe durch Familienmitglieder, unterstützt durch spielerische Wettbewerbe für die Kinder.
  3. Nachbefragung der Eltern zur Unterstützung der Einordnung des Datenmaterials.

Trotz unterschiedlicher Kulturen wurde festgestellt, dass die meisten Familien ähnliche morgendliche Rituale und Routinen haben, einschließlich Reinigungs- und Abschiedsritualen. Das Markenerlebnis auf dem Frühstückstisch war ebenfalls vergleichbar.

 

Fazit: Ethnografie in der Marktforschung

Ethnografische Forschung im Sinne der qualitativen Marktforschung bedeutet, dass der Teilnehmende seinen Alltag und seine Konsumhandlungen per digitalem Endgerät aufzeichnet. Damit nimmt er sozusagen den Rang eines Forschungspartners ein und liefert Einblicke in sein Erleben, die weder vom Forscher noch von der Künstlichkeit einer Befragungssituation beeinflusst werden.
 
Qualitative Marktforschung per Smartphone macht es zudem unkompliziert möglich, lange Studiendauern auch parallel an mehreren Orten und in verschiedenen Ländern mit hohen Fallzahlen.
 
Hürden wie mangelnde Speicherkapazität oder Bandbreite zur Übertragung großer Datenmengen werden dank des technologischen Fortschritts immer kleiner. Dem Risiko der Selbstdarstellung von Teilnehmern kann mit fundiert entwickelten Briefings und der Möglichkeit eines vorab selbst erstellten Porträts begegnet werden.
 

 

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Verfasst von Hanna Hartberger

Hanna Hartberger ist eine vielseitige Allrounderin, die sich in fast allen Bereichen rund um Customer Feedback, Employee Feedback und Software auskennt. Durch ihre jahrelange Erfahrung im Texte schreiben ist es ihr ein besonderes Anliegen, auch komplexe Fachthemen leicht verständlich und interessant zu vermitteln.

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