Welche Veränderungen und Anforderungen treten in der qualitativen mobilen Forschung auf?
In der qualitativen mobilen Forschung ist das Smartphone der Schlüssel zur Kommunikation und zum Verständnis der Nutzer. Die User lassen hier andere Teilnehmer und das Forscherteam live und ungeschönt an ihrem Verhalten, dem Kontext und ihren Meinungen teilhaben. Welche Ansprüche stellt dies an den Forscher?
Alte Fragen, neues Setting
Mit qualitativen Forschungsansätzen wird tiefer „gebohrt“ als mit quantitativen, statistischen Methoden. Statt der Überprüfung einer im Vorfeld aufgestellten Hypothese sollen tiefe Einsichten in das Verhalten und die Überzeugungen der Versuchsgruppe gewonnen und Perspektiven gesammelt werden, die vorher noch gar nicht diskutiert wurden. Neben einem grundsätzlichen neugierigen Forschergeist, vielfältiger praktischer Erfahrung und Methodenkompetenz stellt sich Studienleitern in der qualitativen mobilen Forschung noch eine besondere Herausforderung: Bei dieser Art der Forschung liegt ein deutlicher Fokus auf der Teilnehmerzentriertheit. Der Studienleiter muss sich das Vertrauen seiner Probanden erarbeiten, da dies intimere Einblicke in ihr Alltagsleben und in ihre Meinungswelt gewähren, als es etwa beim anonymen Ausfüllen eines Fragebogens geschehen würde.
In einem klassischen qualitativen Forschungssetting sitzen die Teilnehmer beispielsweise alle in einer Runde physisch beisammen, sie können sich „beschnuppern“ und den Studienleiter persönlich kennenlernen. Das zeigt, dass es in der mobilen Forschung, in der alle Informationen lediglich digital ausgetauscht werden, umso wichtiger ist, als Forscher trotzdem „greifbar“ und erlebbar zu werden – und damit vertrauenswürdig. Eine Begrüßung der Teilnehmer per Live-Video ist zum Beispiel ein guter Einstieg von Mensch zu Mensch.
Veränderungen im Forscheralltag
Welche Veränderungen im qualitativen Forschungsprozess ergeben sich auf mobilem Terrain außerdem?
- Der Forscher bzw. Moderator übernimmt in der mobilen qualitativen Forschung die Rolle eines Gastgebers. Im virtuellen Gesprächsraum sollte eine so angenehme Atmosphäre wie möglich herrschen, damit die Teilnehmer sich gerne und vertrauensvoll öffnen. Da im mobilen Setting eine Kommunikation rund um die Uhr möglich ist, erwarten die Teilnehmer auch rasche Antworten bei Fragen und Unklarheiten. Die Einrichtung fester „Sprechzeiten“ und eines FAQs erleichtert den Studienalltag.
- Die Masse an Daten, die in der qualitativen Forschung gesammelt wird, ist gewollt – aber gleichsam auch manchmal schier nicht zu bewältigen. Im mobilen Rahmen wird die Datenanalyse noch komplexer, da neben (transkribierten) Texten diverse andere Daten wie Videosequenzen, Fotos, Audioaufnahmen und dergleichen anfallen. Noch ist keine Software so weit, diese multimodale Vielfalt automatisiert detailliert auszuwerten. Eine Strukturierung der Daten, etwa nach Tagen, Themen oder Subgruppen, erleichtert den Prozess.
- Qualitative Forschung ist trotz aller gewissenhafter Planung zu einem gewissen Grad völlig unkontrollierbar. Und dies ist auch gewollt, denn im Gegensatz zur quantitativen Forschung, bei der eine zuvor aufgestellte Theorie überprüft wird, will die qualitative Forschung ja vielerlei Daten erheben, die direkt dem Erleben der Teilnehmer entspringen, und sozusagen neugierig und unvoreingenommen in deren Alltag eintauchen. Für die mobile qualitative Forschung bietet sich insofern umso mehr eine rollende Planung an, die mit der Schnelligkeit im Rahmen der Nutzung mobiler Endgeräte Schritt halten kann und rasches Nachjustieren im Studiendesign ermöglicht.
- Die mobile Forschung ist durch ihre räumliche und zeitliche Flexibilität übrigens nicht nur teilnehmer-, sondern auch beobachterfreundlich. Die Zusammenarbeit mit Kollegen und Kunden funktioniert ebenso flexibel – je nach Berechtigung können alle Beteiligten sich jederzeit ein Bild über den Stand der Ergebnisse verschaffen, unkompliziert neue Ideen einbringen oder auch als Co-Moderator involviert werden.
Fazit
Bei mobiler qualitativer Forschung löst sich die Gebundenheit an Raum und Zeit hinsichtlich der Befragungssituation nahezu vollständig auf. Der Forscher ist dennoch oder gar umso mehr als vertrauenswürdiger Gastgeber gefragt, denn auch in mobiler qualitativer Forschung geht es um Kommunikation zwischen Menschen – und nicht mit einer Befragungsplattform.
Die umso größeren Datenmengen, die durch die technischen Möglichkeiten eines Smartphones anfallen, wie etwa Audio- und Videodateien, liefern tiefe Erkenntnisse und stellen gleichermaßen hohe Ansprüche an die nicht standardisierte Auswertung. Grundsätzlich können und sollen das Know-how und das forscherische Fingerspitzengefühl aus einem klassischen qualitativen Forschungsrahmen auch auf das mobile Setting übertragen werden.
Vortrag zum Thema RogQ-Lab
Erfahren Sie mehr zum Thema RogQ-Lab im Vortrag „RogQ-Lab – Die neue Web-Plattform für qualitative Studien“ aus der digitalen Rogator-Roadshow 2021. Sowohl unsere Videoaufzeichnungen als auch die dazugehörigen Unterlagen bzw. Vortragsfolien stehen Ihnen kostenfrei zur Verfügung.
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Verfasst von Carina Römermann
Carina Römermann ist als ehemalige Marketing-Teamleitung bei der Rogator AG Expertin in allen Bereichen des strategischen Marketings. Durch ihr Marketingstudium mit den Schwerpunkten Marketing Management und Market Research sowie der jahrelangen Praxiserfahrung im Bereich Marktforschung bereichert sie unsere Blogbeiträge mit ihrem Fach- und Unternehmenswissen.
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